Folge 1.KB09 – Q/A Plato, OG/SG und Co.

   

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Paul Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Kurz und Bierig.  

Heute widmen wir uns einer sehr spannenden Frage aus unserer treuen Community. 

Flo Mega cool, Paul. Ich kann es kaum erwarten, von daher würde ich sagen, Sprachnachricht ab. 

Speakpipe @redgatebrewing 

Hallo Flo, hallo Paul. Mein Name ist Marius und ich gehöre zu Red Gate Brewing. Wir sind alle große Fans von eurem Podcast und daher komme ich auch mit einer kleinen Frage um die Ecke und ich hoffe, ich blamiere mich damit nicht, aber irgendwie muss ich darüber schon häufiger nachdenken. 

Die Vertreter des imperialen Systems, also vor allem die USA und des metrischen Systems, fast der Rest der Welt, streiten sich ja häufiger über den Sinn und den Unsinn von diversen Einheiten. Sol oder Zentimeter, Unser oder Gramm, Fahrenheit oder Celsius. Da wir in unserem kleinen Brauteam auch einen Amerikaner dabei haben und ich großer Fan von metrischen Einheiten bin, kommen wir uns da häufiger in die Quere. 

Jetzt zu meiner Frage. Habt ihr eine Begründung, warum sich in den USA Gravity als Maß für den Zuckergehalt durchgesetzt hat und in Deutschland Grad Plato? Da Gravity sich aus der Dichte, also Gramm pro Milliliter der Würze im Vergleich zu der Dichte von Wasser, also quasi bei 20 Grad 1 zusammensetzt, ist sie damit ja deutlich näher an metrischen Einheiten als Grad Plato, die sich auf eine Saccharose-Lösung bezieht. 

Also warum setzt sich in Deutschland nicht auch Gravity durch? Wir lieben doch alle unser Celsius und Co. Liebe Grüße aus Frankfurt. 

Paul Ja Flo, wo fangen wir an? Zuerst ist es vielleicht wichtig bezüglich der USA an dieser Stelle zwischen Brauer und Hobbybrauer zu unterscheiden. Die meisten Brauer vertrauen auf Plato als Maßeinheit für die Stammwürze und als Erinnerung an alle Zuhörer da draußen, ein Grad Plato Stammwürze entspricht der Dichte einer Saccharose-Lösung mit einer Konzentration von einem Gewichtsprozent bei 20 Grad Celsius.  

Und dass die US-Brauer auf Plato vertrauen, ist vermutlich dadurch begründbar, dass die Brauindustrie in den USA lange Zeit durch deutsche Einwanderer geprägt war. Das haben wir wirklich sehr oft im Podcast bereits erwähnt. 

Flo Genau Paul, und bei den US-Hobbybrauern wird die Stammwürze mit OG, also der Original Gravity, dem Pendant sozusagen von Grad Plato angegeben. Und das ist eben eine weitere Möglichkeit, die Extraktkonzentration der Anstellwürze anzugeben. Hierbei handelt es sich wiederum um die Dichte der Anstellwürze bei 20 Grad bezogen auf die Dichte des selben Volumens Wasser bei 20 Grad. Und dass das hier verwendet wird in der Hobbybrauer-Szene, könnte dadurch begründet sein, dass nach der Legalisierung des Hobbybrauens 1978 eben eher auf englischsprachige Literatur zurückgegriffen wurde. Und so hat sich das eben dann ergeben. 

Paul Definitiv, die OG ist der Maximalwert der Specific Gravity. Und diese Angabe der Extraktkonzentration als relative Dichte wurde in den UK bereits im 18. Jahrhundert eingeführt und hat sich bei professionellen Brauern als auch Hobbybrauern in Großbritannien bis heute durchgesetzt. 

Flo Was bei der ganzen Thematik noch wichtig zu erwähnen ist, ist, dass Plato mittlerweile in einiger Literatur, Internetquellen und auch gängigen Brautools streng genommen nicht ganz richtig angewandt wird. Und ich muss an der Stelle so transparent sein und zugeben, dass ich das mit ziemlicher Sicherheit an der einen oder anderen Stelle im Podcast auch quasi falsch verwendet habe. Worauf ich hinaus möchte, ist, dass Plato eigentlich nur für die Anstellwürze, also die Stammwürze, Gültigkeit hat. Und wie schon erwähnt, deshalb auch das als Pendant zum OG gilt. 

Paul Genau, Flo. Sobald Gärung im Spiel ist, redet man vom Restextraktgehalt, der in Gewichts- oder Massenprozent angegeben wird. Und an dieser Stelle muss man sagen, dass dieser eingeschlichene Fehler vermutlich ein reines Hobbybrauerphänomen ist, national wie international. Und ich denke, ein waschechter Brauer wird vermutlich Plato für die Angabe des Restextrakts eines Jungbiers nicht in den Mund nehmen. 

Flo Ja, mit ziemlicher Sicherheit. Versuchen wir vielleicht auch ein bisschen auf die Vor- und Nachteile der beiden gängigen Einheiten einzugehen und das ein bisschen zu beleuchten. Und um damit auch letztendlich eine Antwort auf die Speakpipe-Nachricht, die wir abgespielt haben, zu geben. Plato für die Stammwürze und Massenprozent für den Restextrakt, die haben im 19. Jahrhundert vermutlich bei den Brauern so großen Anklang gefunden, weil es am Ende des Tages einfach weniger Zahlen sind, die man sich merken muss oder auch ausschreiben muss im Vergleich zur OG beziehungsweise zur specific gravity. 

Paul Und man kann dadurch natürlich auch einfache im Kopf Abschätzung für CO2-Zunahme, Alkoholgehalt und so weiter durchführen. 

Flo Absolut. Und ich habe es ja schon öfters im Podcast gesagt, Hobbybrauer als auch Brauer, wo wir uns auch dazu zählen dürfen. Wir sind ja clevere Kerlchen. 

Paul Ja, definitiv. 

Flo Es ist ja klar, dass man sich das so zurecht legt. An dieser Stelle muss man auch noch erwähnen, dass es so eine Art Faustformel gibt, um die beiden Einheiten einfach ineinander umrechnen zu können. Das heißt, um auf Gewichtsprozent beziehungsweise Stammwürze Plato zu kommen, kann man einfach die SG oder die OG minus 1 nehmen mal 1000 und durch 4 teilen. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen komplizierter, um es ein bisschen transparenter zu machen. Wenn man sich eine OG von 1.06 herannimmt, minus 1 mal 1000 ist man bei 60. Und das eben durch 4. Also so denke ich, kann man sich das ganz relativ einfach herleiten, auch im Kopf. Und wenn man es genauer haben möchte, kann man immer noch auf Zugerextraktabellen, die es auch nach Plato gibt, zurückgreifen. 

Paul Flo, ich war doch so schlecht in Mathe, aber ich habe es nachvollziehen können. Eine Sache, Flo, dürfen wir beim heutigen Thema auf jeden Fall nicht zu kurz kommen lassen, denn auch zur Extraktbestimmung der Bierwürze gibt es viele spannende geschichtliche Fakten. Und the stage is yours. 

Flo Ja, endlich kommen wir zur Geschichte. Alles begann im Jahr 1768 mit dem Aärometer und dessen Erfindung durch den französischen Chemiker Antoine Baumé, der eben ein Instrument entwickelt hat, mit dem man Dichte von Flüssigkeiten messen konnte. Und dies legte eben dann im Folgenden auch den Grundstein für die Verwissenschaftlichung des Brauprozesses und letztendlich auch die Einführung dieses Messprinzips für die Bierwürze, für die Anwendung der Bierwürze unter dem Begriff Saccharometer. Und das hat eben ein Engländer namens John Richardson im Jahre 1784 populär gemacht. 

Paul Interessant, Flo, aber warum gerade Richardson? Gab es da niemanden davor, der etwas Ähnliches versucht hat? 

Flo Tatsächlich, Paul, es gab einige Vorläufer. Benjamin Martin oder zum Beispiel James Beaverstock sind hier zu nennen. Aber wie es eben so ist, es konnten sich ja nicht alle durchsetzen. Und es gab natürlich bei so einer großen Änderung damals eine große Gegenwehr. Die damaligen Brauer, die waren ein bisschen skeptisch bezüglich dieser neuen Messvorrichtung. Und das hat eben dazu geführt, dass Martin und Beaverstock am Ende des Tages ein bisschen in Vergessenheit geraten sind. 

Paul Also hat es dann doch Richardson am Ende des Rennens gemacht? 

Flo Genau, absolut. Richardsons Saccharometer, der erregte eben viel Aufmerksamkeit. Vielleicht auch befeuert durch seine Einheit Brewers Pound. Darunter versteht man die Anzahl der Pfund, um die ein Fass Würze, die 360 Pfund eines gleichwertigen Fasses Wasser übersteigt. Und diese Einheit, diese Methode war so effektiv, dass die sich sehr lange in der britischen Brauindustrie auch gehalten hat. 

Paul Und wenn wir jetzt gerade in Großbritannien kurz waren. Wie wir bereits zu Beginn der Pilsner Staffel erklärt hatten, war Kontinentaleuropa inklusive des heutigen Deutschlands weit hinter der britischen Brauindustrie zurück. Und daher hat es dann auch bis zu der berühmten Studienreise oder Spionagetour von Sedlelmayr und Trier gedauert, bis es das Saccharometer dann nach Deutschland geschafft hatte und im späteren Verlauf zum ersten Mal in der Spatenbrauerei in München eingesetzt wurde. In diesem Fall dann aber allerdings eine weiterentwickelte Version des Richardson Saccharometers, nämlich das Long´sche Saccharometer, was ab 1824 eingesetzt wurde. Und dieses hatte dann das spezifische Gewicht und nicht den Extrakt als Ausgabgröße. 

Flo Übrigens, ab 1880 wurde das spezifische Gewicht beziehungsweise die OG auch als Bemessungsgrundlage für die Biersteuer in UK verwendet und hat sich relativ lange, nämlich genau genommen bis 1992 gehalten. Mittlerweile, also heute, wird aber auf Alkohol versteuert. Und dann kam bühnefrei ein Mann, den wir im Podcast schon relativ häufig mittlerweile erwähnt und zitiert haben, nämlich ein gewisser Karl-Josef Napoleon Balling aus Böhmen. Er war es nämlich, der das Saccharometer weiter verbessert hat und vor allem auch mathematische Formeln eingeführt hat, die zur Berechnung des Extraktgehalts gedient haben. Seine eingeführten Tabellen und auch Berechnungsmethoden waren so präzise, dass sie eben die Grundlage waren für die heutige Bieranalyse, wie wir sie kennen. 

Paul Das klingt auf jeden Fall nach einer kleinen Revolution im Brauwesen, aber ich kann mir gut vorstellen, damals wie heute ja auch, gab es bestimmt Konkurrenz und Streitigkeiten über die beste Messmethode, oder? 

Flo Oh ja, definitiv. Das 19. Jahrhundert in Kontinentaleuropa könnte man durchaus auch als Schlacht der Bieranalyse-Methoden bezeichnen, um an dieser Stelle mal wieder einen Blogartikel von Andreas Krennmair zu zitieren, den wir euch selbstverständlich auch in die Shownotes packen [6]. In den deutschsprachigen Ländern gab es nämlich eine Vielzahl von Methoden und unterschiedlichen Meinungen. Zu nennen sind an der Stelle Professor Fuchs, der eine Methode entwickelte auf Basis der Löslichkeit von Natriumchlorid, Kaiser konstruierte ein Prozentaräometer und Steinheil zu guter Letzt entwickelte eine optisch-Aräometrische Methode, die die Balkenwaage und ein Refraktometer kombinierte. 

Paul Um das Ganze mal noch ein bisschen zu verdeutlichen, in der Spatenbrauerei, die wir ja gerade schon erwähnt haben, wurden Mitte des 19. Jahrhunderts vom damaligen Braumeister Philipp Heiß drei unterschiedliche Skalen zur Messung des Extrakts verwendet. Das Longes-Sacharometer, Kaisers Prozentarärometer und Ballings-Version. Apropos Balling, wie konnte er sich dann gegen seine ganzen Konkurrenten durchsetzen? 

Flo Ja, der musste ja gegen viel Widerstand an der Stelle kämpfen, besonders gegen die von Steinheil, der stetig versuchte, seine Methode öffentlich zu kritisieren. Aber am Ende des Tages war Ballings Arbeit so gut, dass sie sich eben langfristig durchsetzen konnte. Er zeigte nämlich, wie man den Alkoholgehalt und den Vergärungsgrad eines Bieres einfach berechnen kann, was für die damaligen Brauereien und auch, sehr wichtig, die Besteuerung des Bieres extrem nützlich war.  

Deswegen hat es auch gar nicht lange gedauert, bis der Fiskus in Österreich-Ungarn seinen Saccharometer als anerkanntes Kontrollsystem 1852 eingeführt hat und zur Besteuerung des Bieres die Stammwitze nach Grad Balling angewendet hat. Und das kann man sich ja gut vorstellen, das hat einfach der ganzen Geschichte nochmal ordentlich Fahrt gegeben. 

Paul Fun Fact an dieser Stelle, bis 1852 wurde in Österreich-Ungarn noch nach der Verzehrungssteuer das Bier besteuert. Das heißt, auf dem Land fielen bei der Biererzeugung 45 Kreuzer pro Eimer an, in der Stadt Wien ein Gulden 30 Kreuzer und bei der Einfuhr in die Stadt musste man 45 Kreuzer pro Eimer zahlen. In Deutschland und England waren zu dieser Zeit bereits Rohstoffsteuern auf Malz, also in Deutschland, und Malz und Hopfen in England gängige Praxis. 

Flo Zur Vervollständigung an der Stelle, in Deutschland wurde die Versteuerung auf Basis der Stammwitze nach Klassifizierung in Einfachbier, Vollbier und Starkbier erst durch die Vereinheitlichung der Biersteuer durch das Reichssteuergesetz 1918 an den Start gebracht. Vorher wurde üblicherweise mittels Malzaufschlag besteuert. Und heute wissen wir alle vom Formular 2075, also alle Hobbybrauer an der Stelle, wird nach wie vor nach Stammwitze in Deutschland besteuert. 

Paul So, und jetzt fehlt uns bezüglich unserer Brau- oder Hobbybrauerbrille nur noch die Einheit Plato in der Storyline. Wann und warum und wie kam die denn ins Spiel? 

Flo Ja, das für uns übliche Malz für die Stammwitze, nämlich °Plato, verdanken wir dem deutschen Ingenieur und Chemiker Dr. Fritz Plato. Er lebte von 1858 bis 1938 und war zeitweise Direktor des Deutschen Instituts für Maße und Gewichte. Er baute auf die Arbeiten von Balling auf und veröffentlichte im Jahre 1900 sein eigenes, weiterentwickeltes System mit einer Bezugstemperatur von 20 Grad Celsius und der Einheit °Plato. 

Balling hatte als Bezugstemperatur 14 Grad Reamur, was umgerechnet 17,5 Grad Celsius entspricht. Und das ist auch ein weiterer Funfact an der Stelle und nochmal eine Brücke zu der Speedpipenachricht, nämlich das metrische System, was erwähnt wurde, das hatte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts in Kontinentaleuropa etabliert und bis dahin waren, je nach technischem Anwendungsfall, unterschiedliche Temperaturskalen im Einsatz. Also neben Celsius und dem gerade erwähnten Reamur natürlich auch noch das von dem Deutschen entwickelte Fahrenheit. 

Paul Und eine weitere Einheit haben wir jetzt noch nicht erwähnt und die müssen wir auf jeden Fall noch erwähnen, Flo, da diese vermutlich auch viele von den Labels der bekannten belgischen Trappistenbiere kennen, die Belgian Brewing Degrees. Sicherlich haben sich schon einige von euch mal gewundert, was die Zahlen 6, 8, 10 beispielsweise auf den Rochefort-Bieren bedeuten. 

Flo Absolut, das habe ich mich auch eine Zeit lang gefragt gehabt, als ich das noch nicht wusste. Diese Einheit, die wurde bis in die 1990er Jahre von vielen belgischen Brauereien zur Anzeige der Stammwitze und natürlich auch zur Klassifizierungsmöglichkeit ihrer Biere verwendet. Und darf man auch nicht vergessen, war selbstverständlich auch die Grundlage für die Besteuerung. Mittlerweile ist es aber alles ein bisschen anders, auch an dieser Stelle hat Plato die Belgian Brewing Degrees verdrängt. Und die Frage, die bleibt, was bedeuten jetzt letztendlich diese Zahlen, Paul? 6, 8, 10 oder 12 auf dem Westvleteren? 

Paul Ich als alter Mathematiker versuche es mal. Die Belgian Brewing Degrees lassen sich ganz einfach aus der OG, also Original Gravity, Flo hat es erwähnt, bestimmen, indem man 1 minus diesen OG-Wert mal 100 rechnet. Kleines Beispiel, 1 minus eine OG von 1,060 mal 100 ergibt dann 6 Belgian Brewing Degrees. 

Flo Wow, ich würde sagen, das war für Kurz und Bierig heute ein richtiger Rundumschlag zu diesem Thema und hat echt Spaß gemacht. 

Paul Ja, schickt uns weiter eure Fragen, denn wir kümmern uns gerne um die und dann darf es auch mal ein bisschen länger sein, wenn es so interessant ist. 

Flo Von daher bleibt uns nur noch zu sagen, bleibt durstig in der Sommerszeit, macht’s gut, bis bald bei Kurz und Bierig. 

Paul Macht’s gut. 

Quellen 

[1] https://beerandbrewing.com/dictionary/TIYtUkJif2/  

[2] https://glacier-design.com/what-do-the-numbers-mean-on-some-belgium-beers/  

[3] https://brauwelt.com/de/karriere/personen-und-positionen/645035-giganten-der-biergeschichte-richardson,-balling-co  

[4] https://beerandbrewing.com/dictionary/NpUFIRRVLp/  

[5] https://gradplato.com/kategorien/know-how/berechnungen-rund-ums-bier  

[6] https://dafteejit.com/2022/07/the-battle-of-the-beer-analysis-methods/  

[7] http://www.breweryhistory.com/journal/archive/124_5/Hydrometry.pdf  

[8] https://beerandbrewing.com/specific-gravity-or-just-a-matter-of-degree/  

[9] http://beer-studies.com/en/world-history/Brewery-scientific-age/Alcohol-beer-measure  

[10] https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5f74aa00d3bf7f287448a4df/20200930_call_for_evidence_FINAL.pdf  

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